28. Januar 2024

Die Rolle der Eltern bei der Notfallversorgung

Wann immer möglich, sollten Eltern bei der Behandlung ihrer Kinder dabei sein dürfen. Einerseits sind sie meist bestens über die medizinischen Vorerkrankungen der Kinder informiert, können das Gewicht der Kinder präzise nennen und bieten die einzige Möglichkeit zur Erhebung einer Anamnese. Sie kennen das individuelle normale Verhaltensmuster des Kindes und erkennen somit Abweichungen, die wir als Fremde gar nicht wahrnehmen können!

 

Wenn Eltern berichten, dass etwas mit ihrem Kind nicht stimmt, muss dies sehr ernst genommen werden! Oft ist dies der erste und bis dahin einzige Hinweis auf eine sich dramatisch entwickelnde Situation (z. B. eine Sepsis).

Ein anderer Aspekt der Anwesenheit der Eltern sind psychische Folgen nach dramatischen Ereignissen oder sogar dem Verlust eines Kindes. Denn es konnte wiederholt nachgewiesen werden, dass es signifikant seltener zu bedeutsamen Psychopathologien kommt, wenn sie bei der Notfallversorgung mindestens teilweise anwesend waren. Daher empfehlen auch die Reanimationsleitlinien, die Anwesenheit der Eltern bei der Behandlung zu ermöglichen, solange dies die Qualität des ärztlichen Handelns nicht einschränkt1.

Kindesmisshandlung und Vernachlässigung

Nicht übersehen werden darf jedoch ein ganz schrecklicher, weiterer Aspekt: Manchmal sind die Eltern auch Teil oder Ursache der vorliegenden Erkrankung oder Verletzung. In unterschätztem Ausmaß werden Kinder Opfer von Gewalt oder Vernachlässigung. Die letzte in Deutschland erhobene Inzidenz lag bei 10 – 15 %, wobei von einer hohen Dunkelziffer ausgegangen werden muss. Bis zu einem Viertel aller Schädel-Verletzungen bei Kindern unter 2 Jahren werden durch Personen zugefügt2. Besonders wichtig wird das Erkennen von Misshandlungen dadurch, dass die Gewalt und Misshandlung in der Regel keine Einzelereignisse darstellen, sondern regelhaft wiederholt werden und eskalieren! Sensibilität diesbezüglich ist also auch im Rettungsdienst gefordert.

Kein Generalverdacht

Dies soll nicht bedeuten, dass Eltern unter Generalverdacht gestellt werden müssen oder der Fokus der Versorgung bei forensischen Aspekten liegen soll. Dennoch kann schon durch das aufmerksame Beobachten und Protokollieren aller Begleitumstände die Chance entstehen, das Kind in einem an die medizinische Versorgung anschließenden und vom Familiengericht geleiteten Prozess aus seiner Gewaltspirale zu befreien (weiterführende Literatur zu den rechtlichen Grundlagen und geeigneter Vorgehensweise siehe Artikel im Deutschen Ärzteblatt3).

Sicherheit in Sekunden

Sollten die Eltern bei einem Notfall nicht anwesend sein und das Gewicht des Kindes nennen können, hilft das pädiatrische Notfalllineal (PädNFL) bei der längenbezogenen Gewichtsschätzung – wissenschaftlich als beste Methode anerkannt. Das so ermittelte Normgewicht ist für die korrekte Dosierung der Notfallmedikamente entscheidend. Die Dosierungsempfehlungen sowie weitere Angaben, z. B. zu passenden Ausrüstungsgegenständen und Normwerten bei pädiatrischen Notfällen, können direkt vom PädNFL abgelesen werden. Es ist weltweit das einzige medizinische Hilfsmittel, mit dem nachweislich 9 von 10 Fehldosierungen vermieden werden können4,5. Daher wird es in der S2k-Leitlinie “Medikamentensicherheit bei Kindernotfällen” ausdrücklich empfohlen6.

Literatur:

  1. Van de Voorde P, Turner NM, Djakow J et al. European Resuscitation Council Guidelines 2021: Paediatric Life Support. Resuscitation 2021; 161: 327-387, DOI: 10.1016/j.resuscitation.2021.02.015
  2. Duhaime AC, Christian CW, Rorke LB et al. Nonaccidental head injury in infants–the „shaken-baby syndrome“. N Engl J Med 1998; 338: 1822-1829,
  3. Jacobi G, Dettmeyer R, Banaschak S et al. Misshandlung und Vernachlässigung von Kindern – Diagnose und Vorgehen. Dtsch Arztebl Int 2010; 107: 231-239, DOI: 10.3238/arztebl.2010.0231
  4. Kaufmann et al. Development and Prospective Federal State-Wide Evaluation of a Device for Height-Based Dose Recommendations in Prehospital Pediatric Emergencies: A Simple Tool to Prevent Most Severe Drug Errors. Prehosp Emerg Care 2018; 22: 252-259
  5. Kaufmann et al. Improving Pediatric Drug Safety in Prehospital Emergency Care-10 Years on. J Patient Saf 2021; 17: e1241-e1246
  6. Kaufmann et al. S2k-Leitlinie 027/071: “Medikamentensicherheit bei Kindernotfällen”. org 2021

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