18. April 2023

Lidocain – als Analgetikum ungeeignet und gefährlich!

Lidocain hat als Analgetikum auch in der Kindermedizin eine gewisse Popularität erlangt, obwohl dafür keinerlei wissenschaftliche Grundlage besteht. Vorweg eine sehr wichtige Feststellung: Die therapeutische Breite von Lidocain ist sehr gering.

Fehlinformation durch Video

Während therapeutische Plasmakonzentrationen bei 2,5-3,5 mcg/ml liegen, muss mit einer Toxizität bereits bei 5 mcg/ml gerechnet werden [1]. Das bedeutet, dass gerade mit diesem Medikament Dosierungsfehler sehr gefährlich sind. Wie in dem tödlichen Fall eines sieben Monate alten Säuglings, bei dem Lidocain in eine intraossäre Nadel gegeben wurde (hier zum Focus Artikel).

Besonders tragisch ist, dass die erwünschte Analgesie bei Medikamentengaben über eine intraossäre Nadel damit nicht erreicht werden kann, wie der klinische Alltag im Kinderkrankenhaus zeigt. Grund für die Popularität dieser Praxis war vermutlich ein Video, welches das „New England Journal of Medicine“ im Jahr 2011 veröffentlicht hatte [2]. Noch in der gleichen Ausgabe des NEJM [3] wurde darauf hingewiesen, dass es keinen Beweis für die hier beschriebene Wirksamkeit gibt.

Dennoch findet sich in den Leitlinien des European Resucitation Council [4] und in einer deutschen S1-Leitlinie die Empfehlung zur Analgesie mit Lidocain bei intraossären Nadeln [5]. Beide bieten ebenfalls keinen Beleg einer Wirksamkeit, der bis heute ausbleibt. Das stellt auch die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) fest, die im deutschen Ärzteblatt (und somit kenntnisverpflichtend für die deutsche Ärzteschaft!) folgendes wörtlich schreibt [6]: „Nach Ansicht der AkdÄ ist das Konzept einer intraossären Vorbehandlung mit Lidocain zur Vermeidung von Schmerzen vor intraossärer Gabe von Arzneimitteln und Volumenersatz bei pädiatrischen Patienten abzulehnen, da der Wirkstoff wegen seiner unberechenbaren systemischen Wirkung gefährlich sein kann. Außerdem gibt es Alternativen einer Schmerztherapie mit Opioiden wie z. B. Morphin oder Fentanyl.“ Es ist zu hoffen, dass die genannten Leitlinien möglichst rasch ein Erratum erhalten und korrigiert werden!

Wirkungslos und potenziell lebensgefährlich!

Auch als systemisches Analgetikum bei intravenöser Verabreichung konnte bisher keine Wirksamkeit nachgewiesen werden – auch hier bestehen Sicherheitsbedenken  [1,7]. Die einzige Indikation für Lidocain in der pädiatrischen Notfallmedizin besteht bei schweren ventrikulären Arrhythmien mit einer i.v. Gabe von 1 mg/kg KG als Alternative zum Amiodaron, „wenn der Anwender erfahren im Gebrauch ist“ [4].

Das Pädiatrische Notfalllineal (PädNFL) gibt daher auch nur genau diese Anwendung für das Lidocain an. Sicherheit ist oft auch zu wissen, was man NICHT machen soll!

Literatur:

  1. Hall EA, Sauer HE, Davis MS et al. Lidocaine Infusions for Pain Management in Pediatrics. Paediatric drugs 2021; 23: 349-359, DOI: 10.1007/s40272-021-00454-2
  2. Nagler J, Krauss B. Intraosseous Catheter Placement in Children. New England Journal of Medicine 2011; 364: e14, DOI: 10.1056/NEJMvcm0900916
  3. Thim T, Lofgren B, Grove EL. Intraosseous catheter placement in children. N Engl J Med 2011; 364: 2171; author reply 2171, DOI: 10.1056/NEJMc1103310#SA1
  4. Van de Voorde P, Turner NM, Djakow J et al. European Resuscitation Council Guidelines 2021: Paediatric Life Support. Resuscitation 2021; 161: 327-387, DOI: 10.1016/j.resuscitation.2021.02.015
  5. Helm M, Bernhard M, Böttiger BW et al. S1-Leitlinie: Die intraossäre Infusion in der Notfallmedizin. Anaesthesiol Intensivmed 2018; 59: 667-677,
  6. AkdÄ. „Aus der UAW-Datenbank“ Intraossäre Gabe von Lidocain zur Schmerztherapie bei pädiatrischen Patienten – eine nicht sachgerechte, potenziell gefährliche Off-Label-Empfehlung. Deutsches Aerzteblatt 2022; 119: A2157-A2158,
  7. Heath C, Hii J, Thalayasingam P et al. Perioperative intravenous lidocaine use in children. Paediatr Anaesth 2022, DOI: 10.1111/pan.14608

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